Musik zum Abschied

Franziska Böhm

 

 

 

 

Ein Interview mit der Schauspielerin und Sängerin Franziska Böhm

Franziska lernte ich 2008 kennen. Wir nahmen beide an einer Masterclass für Sänger teil. Ihre Stimme fiel auf, hatte etwas anrührend Eindringliches und trotzdem Verletzliches.
Die Jahre danach waren wir locker über Facebook in Verbindung, trafen uns manchmal auf einer Veranstaltung. Vor zwei Monaten las ich von ihrem Projekt „Musik zum Abschied“.
Das interessierte mich natürlich und ich fragte sie, ob sie zu einem Interview über dieses Thema bereit wäre. War sie, und gestern trafen wir uns.

Du singst auf Beerdigungen, Trauerfeiern. Was machst Du da genau?

Das hängt davon ab, was der Kunde wünscht. Ich singe hauptsächlich Titel aus dem Bereich Pop-Musik, also Modernes, keine Klassik. Meist sind es Lieder-Wünsche, die ich in einer kleinen Besetzung realisiere. Das kann als Duo sein, also Gesang und E-Piano oder Gitarre. Auch ein Trio, Gesang mit zwei Begleitinstrumenten, ist möglich. Für mehr ist in der Regel kein Platz. Meistens sind wir in der Kapelle. Es kommt aber auch vor, dass die Leute nur am Grab Musik wünschen. Dort ist man natürlich wetterabhängig. So habe ich einen schönen, großen Schirm. Den brauchte ich neulich auch. Ich stand mit meinem Gitarristen am Grab und wollte eigentlich Handperkussionsinstrumente spielen. Aber es fing an zu regnen. Somit hatte ich beide Hände voll, musste den Schirm halten. So ist eben das Leben. Manchmal macht es uns einen Strich durch die Planung.

Nenn doch bitte ein paar Titel, die du zu Trauerfeiern singst?

Sehr oft wird „Tears In Heaven“ von Eric Clapton oder „I Will Always Love You“ von Whitney Houston bzw. Dolly Parton gewünscht. Auch „Der Weg“ von Herbert Grönemeyer steht ganz oben auf der Wunschliste. Ansonsten wird nach Titeln gefragt, die im Leben des Verstorbenen eine Rolle spielten. So hatten wir mal zwei Songs von Elvis Presley – „Devil In Disguise“ und „Kiss Me Quick“. Das sind beides keine ruhigen Balladen, aber es wurde ausdrücklich gewünscht, dass wir das originalgetreu up-tempo vortragen. Die Verstorbene war ein absoluter Elvis Presley Fan und hatte viel zu seiner Musik gefeiert.

Die Leute wünschen sich auch Titel, die du nicht im Repertoire hast?

Ja, genau. In dem Fall war das so. Die beiden Songs kannte ich nicht und sollte am Grab singen. In einer Kapelle, kann ich mir einen kleinen Notenständer hinstellen. Da lege ich meine Texte drauf und spare mir damit das Auswendiglernen. Aber draußen einen Zettel in die Hand zu nehmen, sieht komisch aus. So musste ich die Texte lernen. Die müssen richtig sitzen, denn wenn man bei einer Beerdigung ein Blackout hat, ist das sehr peinlich.

Ist es schon einmal vorgekommen, dass Du einen Wunsch nicht erfüllen konntest oder wolltest?

Bisher ist das noch nicht vorgekommen, aber das wäre schon möglich. Z.B. würde ich nichts aus der Klassik oder aus dem Schlagerbereich singen. Dafür bin ich nicht die Richtige und das würde ich dann auch sagen. Das mache ich auch bei anderen Gelegenheiten wie Firmenfeiern. Ich möchte eben nur die Musik machen, die mir liegt, die ich empfinden kann.
Bei Trauerfeiern kommen dann noch Aspekte der Pietät dazu.
Ich hatte mich im Vorfeld lange mit dem Repertoire beschäftigt – welche Texte in Frage kommen und Sachen angehört, die nicht so bekannt sind. Ich habe geschaut, was passt und sehr schöne Lieder gefunden.

Wo kann man sich über Dein Repertoire für Trauerfeiern informieren?

Das findet man auf meiner Seite www.trauerfeier-musik.com. Es ist aber relativ begrenzt, da die Leute oft mit eigenen Wünschen kommen.

Ist es für den Kunden teurer, wenn er Lieder hören möchte, die du nicht im Repertoire hast, also erst einstudieren musst?

Das ist auf jeden Fall teurer, da der Aufwand größer ist. Es ist immer von den jeweiligen Liedern abhängig.

Welche Instrumentierung ist möglich?

Piano oder Gitarre – das ist am einfachsten. Gitarre ist eben mobil. Die kann man gut mit ans Grab nehmen. Piano ist dagegen von der Stilistik her vielseitiger einsetzbar. Wenn wir als Trio auftreten, kommt meist ein Cello dazu. Je nach Repertoire kann man unterschiedlich kombinieren. Cello, Violine Gesang geht auch oder Akkordeon, Violine, Gesang. Ich muss auch immer schauen, welche Musiker am Termin Zeit haben.

Wenn ein E-Piano dabei ist, braucht ihr einen Stromanschluss. Arbeitet ihr dann auch allgemein mit Technik, Mikro usw.?

Ja, in der Kapelle arbeiten wir immer mit Technik. Ich habe dadurch auch mehr Möglichkeiten für die Interpretation. Ich kann sehr weich und einfühlsam singen, ohne dass die Musikinstrumente meinen Gesang übertönen.

Wie viele Titel singst du?

In der Regel singe ich drei Titel. Der Instrumentalist begleitet dann auch meist die Trauerrede. Er kann das gut improvisieren. Das gibt eine sehr schöne Atmosphäre.

Wie bist du überhaupt dazu gekommen, auf Trauerfeiern zu singen?

2009 half ich in einer Band aus. Dies spielte unter anderem auch auf Trauerfeiern. Ich habe dabei gemerkt, wie sehr mir getragene Stücke am Herzen liegen. Und ich fühlte, dass es etwas Wichtiges ist, was ich da tue. Darüber hinaus empfand ich es auch als Ehre, dass mir Vertrauen entgegengebracht wird, dieses Ritual zu begleiten.

Welche Frage würdest Du gerne noch beantworten?

(überlegt) … Das finde ich noch interessant – wie schwierig es ist, Musiker für derartige Projekte zu finden. Es hat mich echt überrascht, wie viel Berührungsängste da auch auf Seiten der Künstler sind. Damit hatte ich echt nicht gerechnet. Obwohl sie den Auftrag sicher gut brauchen könnten, antworteten viele: „Das mach ich nicht.“

Was denkst du, woran es liegt, dass Menschen solche Berührungsängste beim Thema Tod haben?

Ich habe bei manchen Musikern persönliche Erfahrungen mit diesem Thema raus gehört. Es war mal ein ganz junger Kollege dabei, der hinterher fix und fertig war. Dem standen vor Mitgefühl die Tränen in den Augen. Ich sehe, dass viele ein Problem haben sich abzugrenzen und das Thema Tod ins Leben zu integrieren.
Dass der Tod mit unangenehmen, unschönen Dingen in Verbindung gebracht wird, spielt sicher auch eine Rolle. Und dann suggerieren uns die Medien ja laufend ewige Jugend und Schönheit. Da passt der Tod eben nicht rein.

Wie geht es dir persönlich, wenn du bei einer Trauerfeier singst?

Das hört sich jetzt vielleicht etwas seltsam an. Ich freue mich riesig, dass ich auf einer Trauerfeier singen darf. Ich fühle mich geehrt und denke, Franziska jetzt kannst Du mal wieder was Großes, was mit Tiefgang tun. Da vertraut mir jemand diese Aufgabe an. Das erfüllt mich mit Freude und natürlich auch mit Respekt. Dann überlege ich: Wie verhalte ich mich am besten, um einerseits den Trauergästen meine Wertschätzung, meinen Respekt und mein Mitgefühl zu übermitteln und andererseits genügend Distanz zu haben, um meine Aufgabe erfüllen zu können. Wenn ich dann nach Hause gehe und der Kunde war zufrieden, bin ich glücklich und voller Stolz. Das ist eben ganz anderes, als nach einem Gig auf einer Firmenfeier.

Wie viel Vorlauf brauchst Du? Wie viele Tage vorher muss man anfragen?

Je früher, umso besser. Meist bekomme ich die Anfrage etwa eine Woche vorher, bei Urnenbestattungen sogar einen Monat vorher. Wenn die Zeit kürzer ist, können wir einen Auftrag auch noch realisieren. Allerdings kann der Kunde dann nur aus dem bestehenden Repertoire auswählen und ich muss schauen, welcher Musikern so kurzfristig frei ist.

Wie kann man Dich buchen?

Wie man möchte – per Telefon oder Mail. Auf meiner Internetseite sind alle Kontaktmöglichkeiten angegeben.

Internetseite von Franziska Böhm:  www.trauerfeier-musik.com

Ich tat, was Sokrates sagte

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Von dem griechischen Philosophen Sokrates ist folgender Satz überliefert: „Alles was wir in Worte fassen können, können wir hinter uns lassen.“

Genau das hatte ich damals intuitiv getan, als mein Mann gestorben war.* Immer wenn schmerzliche Gedanken aufkamen, schrieb ich diese auf ein Stück Papier, dass ich gerade zu fassen bekam. Es wurde dann ruhiger in mir. Überall im Haus lagen Zettel mit Wortfetzen herum und irgendwann begann ich sie in einem Umschlag zu sammeln. Doch das genügte mir noch nicht. Ich hatte Schuldgefühle, weil ich nicht bei meinem Mann sein konnte, als es ihm schlecht ging. Die waren eigentlich unbegründet, denn ich durfte und konnte nicht zu ihm. Er lag im Berliner Virchow-Klinikum unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen auf der Isolierstation und ich durfte von unserem Grundstück auf dem Land, 120 km entfernt, nicht weg. Ich hätte es auch kräftemäßig nicht geschafft. So war er alleine gestorben.
Auch wenn der Verstand sagte, du konntest nicht zu ihm, war das Empfinden anders. Dieses meinte, ich hätte bei meinem Mann sein sollen. Ich musste etwas tun, um mir selbst verzeihen zu können. Und so begab ich mich auf einen Weg, für den ich sonst wohl nie den Mut gehabt hätte. Ich nahm Gesangsunterricht, schrieb aus meinen Wortfetzen Texte, gründete ein Musiklabel und produzierte eine CD für meinen Mann, in der ich all meinen Gefühlen Ausdruck verlieh. Musik koppelt Worte noch intensiver an Gefühle. Die erste Zeit liefen Tränen und die Stimme versagte beim Singen. Dazu kam, dass ich absolut keine Ahnung von der Musikbranche hatte. Ich musste mir alles erfragen, anlesen, irgendwie aneignen. Es war ein langer beschwerlicher Weg und ich hatte gegen Ende das Gefühl, meinen ganz persönlichen Jacobsweg zu gehen. Im Jahr 2006, nach 6 Jahren, hatte ich endlich die CD „Geschichten einer Liebe“ in der Hand. Sie war unter extremen Bedingungen mit dem Einsatz meiner letzten Kräfte produziert.

Auch von außen wurde ich dazu gedrängt, meine Gefühle in Worte zu fassen. Es bestand ein großes Interesse der Medien, dem ich mich nicht völlig entziehen konnte. Als mein Mann im Virchow-Klinikum lag, wurde mein Haus von Kamerateams regelrecht belagert. Nach seinem Tod, gab es Vermutungen und Spekulationen, die mich verletzten, weil Menschen, die ihn nicht kannten, ihm eine Verwechslung unterstellten. So ging ich vor die Kamera, um das klarstellen zu können. Das kostete mich alles sehr viel Kraft, doch jetzt weiß ich, dass es auch eine gute Seite hatte. Ich war gezwungen hin zu schauen und mich mit meiner Situation und meinen Gefühlen auseinanderzusetzen. Es gab noch genug, das ich vorerst verdrängte.
2005 wurde ich gefragt, ob ich an einem Buch** über Verlustverarbeitung mitwirken wolle. Ich hatte Connie Palmens Buch über ihre große Liebe Ischa Meijer und dessen Tod gelesen. Es war für mich tröstlich, zu wissen, mit diesem Schmerz nicht alleine zu sein. Meine Geschichte würde vielleicht anderen helfen können. Ich sagte zu.
Es sind nur 19 Seiten, die unter Tränen, seelischen und körperlichen Schmerzen geschrieben wurden. Ich hatte mich in ein kleines Hotel im Spreewald zurückgezogen, um ungestört zu sein. Nach 5 Tagen musste ich abbrechen, da mein Körper völlig verspannt war, ich unter starken Kopfschmerzen und Übelkeit litt. Nach einer Ruhepause schrieb ich weiter. Es war ein Teil Aufarbeitung und ich glaube, es war die Initiation für meine schriftstellerische Arbeit.
Jetzt nach fast 16 Jahren, in denen es immer wieder Phasen der Aufarbeitung gab, habe ich begonnen, die ganze Geschichte zu schreiben. Ich brauchte die Zeit, um mit Abstand auf die Geschehnisse schauen zu können. Doch nun werde ich auch das, was ich bisher im Verborgenen hielt in Worte fassen.
Und es wird nicht nur Trauriges geben, sondern auch Spannendes und Liebevolles.

Ein Liedtext von meiner CD „Geschichten einer Liebe“

Es geht weiter

Fühle meine Kräfte schwinden –
kann nicht mehr – will nicht mehr.
Möcht mich einfach fallen lassen –
aber keiner ist da, der mich fängt.

Schwarze Locken – oftmals viel zu kurz –
hab sie geliebt – hab dich geliebt.
Das Leben geht weiter – einfach so –
es fragt nicht nach Schmerz – fragt es nicht.

Fühl mich so leer – alles ist taub – halt mich in deinen Armen –
lass mich deinen Herzschlag spüren.
Fühl mich so leer – alles ist taub – halt mich in deinen Armen –
will in deinen Blicken versinken.

Nie wieder meine Spuren von Deiner Brille putzen.
Nie wieder Deine Geschichten hören.
Nie wieder bangend auf Dich warten.
Nie wieder deine Hände spüren.

Fühl mich so leer – alles ist taub – halt mich in deinen Armen –
lass mich deinen Herzschlag spüren.
Fühl mich so leer – alles ist taub – halt mich in deinen Armen –
will in deinen Blicken versinken.

Vorbei – doch ich leb weiter – und ich mach was draus –
für dich und mich – und alle, die denken, dass es keine Hoffnung gibt.

Fühl Kraft in mir – kann Berge versetzen – spüre deinen Willen –
führe deinen Herzschlag fort.
Fühl Kraft in mir – kann Berge versetzen – spüre deinen Willen –
deinen letzten Blick vergess ich nie.
*Im August 1999 starb mein Mann nach einem gemeinsamen Arbeitsaufenthalt in Westafrika an Gelbfieber.

**„Stärker als je zuvor“ von Heike Reuther, Ullstein Buchverlage