Ein Musical „BurnOut“ – geht das?

Burnout, Musical, Logo

 

Bei einer Veranstaltung der Deutschen Musical Akademie lernte ich Sabine Haydn kennen.
Ich erfuhr, dass sie ein Musical zum Thema Burnout geschrieben hat, das demnächst wieder in Berlin aufgeführt wird. Das machte mich neugierig und ich bat sie um ein Interview.

 

 

Wie bist Du dazu gekommen, ein Musical über das Thema Burnout zu schreiben?

Ich arbeitete zu der Zeit in einer Werbeagentur, einem klassischen Umfeld für Burnout. Einige meiner Kollegen waren auch betroffen. Sie standen unter einem enormen Druck. Es wird kontrolliert und ausgewertet, wieviel Zeit du zur Bearbeitung einer Aufgabe brauchst. Kreativität geht aber nicht auf Knopfdruck. Du hast mal bessere und mal schlechtere Tage. Dazu kam, durch den Zeitdruck bedingt, ein oft rauer Umgangston. Es hat mich sehr berührt und beschäftigt, wie schlecht es den Leuten geht, die das Burnout-Syndrom haben. Jemand der das nicht kennt, kann sich das nicht vorstellen. Es war erschreckend zu sehen, wie sie sich veränderten, wie sich rein äußerlich ihre Hautfarbe änderte. Die wird grau. Sie sind oft ganz nahe am Selbstmord. Das Schlimme ist, sie können nicht einfach aus der Situation heraus. Sie müssen ja Geld für den Lebensunterhalt verdienen. Und sie können auch nicht einfach gehen und sich woanders bewerben. Das funktioniert nicht, weil sie sich so wertlos fühlen. Wie sollen sie da einen Arbeitgeber davon überzeugen, dass der sie haben will? Ich hatte das immer vor Augen, aber ich habe mitbekommen, dass das Burnout-Syndrom auch etwas Gutes hatte. Es zwang die Leute dazu, sich in Therapie zu begeben, sich mit sich selbst und ihrem Leben zu beschäftigen, ihr Leben zu hinterfragen. Das führte meist dazu, dass sie gekündigt haben. Und sie suchten sich eine andere Arbeit oder gingen in die Selbständigkeit.

Hast Du den Burnout bei Deinen Kollegen mitbekommen und gedacht, darüber schreibe ich ein Musical oder hast Du ein Thema für ein Musical gesucht und bist so darauf gekommen?

Wahrscheinlich sowohl als auch. Gerade als ich die Idee hatte, ein Musical zu schreiben, erzählte mir ein Freund, dass er sich selbständig Musical, Burnoutgemacht hat. Und dass er jetzt endlich glücklich ist und froh, aus dem ganzen Agenturalltag raus zu sein. Bei einem Musical sollte man ja immer sehen, dass man eine Geschichte findet, die größer als das Leben ist, also etwas, das lohnend ist, dass man es erzählt. Und genau das habe ich darin gesehen. Denn wenn das nicht erzählenswert ist, dass hinter einer schweren Krankheit so ein schönes Ende stecken kann, was dann? Man muss sehr hart an sich arbeiten und Hilfe akzeptieren, aber das Ende ist selbstbestimmt und positiv. Eigentlich ist das perfekt.

Wie hast Du Dir das nötige Wissen für das Thema angeeignet?

Ich habe vier Jahre an dem Stück gearbeitet. Es gab viele Gespräche mit betroffenen Freunden und Bekannten. Sie waren unglaublich offen zu mir, selbst als sie wussten, dass es mir um Recherche für das Stück geht. Weiterhin habe ich Artikel zum Thema gelesen. Ganz wichtig, zum Schluss bin ich das komplette Stück mit einem Psychologen durchgegangen. Er stand mir an vielen Stellen noch einmal im Detail beratend zu Seite. Später kam noch unerwartete Unterstützung hinzu. Was ich nicht wusste, unser Hauptdarsteller hatte selbst ein Burnout-Syndrom durchlebt. Somit konnte er in vielen Momenten und Situationen beraten, auftretende Fragen beantworten und auf wichtige Dinge aufmerksam machen.

Hatte die Arbeit an dem Stück vielleicht auch einen Einfluss darauf, dass Du dann in der Werbeagentur aufgehört hast?

Nein, ich habe aufgehört, weil ich in die Selbständigkeit ging und keine Zeit mehr hatte, in der Agentur zu arbeiten. Ich habe immer versucht meine Dinge, die ich geschrieben habe, irgendwie an den Mann zu bringen. Um mir den finanziellen Freiraum zu schenken, an Konzepten zu arbeiten, habe ich nebenher in der Agentur gearbeitet. Es war aber nie mein Lebensziel in einer Agentur zu sein und zu bleiben. Ich glaube, wenn du von vielen Leuten umgeben bist, die versuchen, ihre Träume zu verwirklichen, dann ist es auch leichter solche Schritte zu gehen.

Wo liegen für Dich Sinn und Zweck des Musicals „BurnOut“?

Sinn und Zweck ist für mich, dass die Menschen anders raus gehen als sie rein gegangen sind. Und das bekomme ich jetzt bestätigt. Das bezieht sich natürlich auch darauf, dass der Hauptzweck eines Musicals ist, dass man einen schönen Abend hat. Das setze ich jetzt mal voraus. Ich würde nicht wollen, dass die Leute in ein Stück gehen und hinterher Suizidgedanken haben. Sie müssen unterhalten werden und das tun wir. Wir haben viele Momente, wo man lachen kann. Es gibt viele Momente mit einfach nur schöner Musik. Entscheidend ist für mich, dass es auch ganz viele Momente gibt, wo die Leute anfangen, sich mit sich selbst auseinander zu setzen. Das kann sein, weil sie sich in Situationen wiedererkennen oder weil sie auf eine Thematik aufmerksam werden, die ihnen vorher vielleicht gar nicht bewusst war.

Denkst Du, dass Du mit „BurnOut“ bei den Menschen, die das Musical sehen, etwas bewirken kannst?

Ich hoffe es! Genau das ist das Ziel. Den Menschen, die nicht betroffen sind, zu zeigen, wie schlimm das Burnout-Syndrom tatsächlich ist, damit diese Krankheit ernster genommen wird. Und denen, die betroffen sind, Hoffnung zu geben und den Glauben daran, dass es hinterher wieder gut, wenn nicht noch besser wird. Wenn man nur ein paar Menschen Hoffnung geben kann, dann ist schon ganz viel erreicht. Ich bin sehr dankbar für das Feedback, das ich nach den ersten Aufführungen bekommen habe. So haben mir Leute mitgeteilt, dass sie nach dem Besuch des Musicals lange darüber nachdenken mussten. Ich erhielt E-Mails, in denen mir Leute schrieben dass sie durch das Stück erkannten, wie schlecht es ihnen eigentlich geht und sich in Therapie begeben haben. Und dass sie dankbar für den Anstoß sind, den sie von dem Stück bekommen haben. Wenn ein Stück so etwas auslösen kann, dann ist das großartig. Das ist mehr, als ich erwarten konnte.

Was denkst Du, ist die Ursache dafür, dass in unserer Gesellschaft Burnout immer häufiger auftritt?

Ich glaube, weil der Mensch immer weniger als Mensch gesehen wird. Menschen haben nur noch zu funktionieren. Es geht nicht mehr darum, ob 1-Foto von Karsten Noacketwas einem gut tut oder man sich wohlfühlt. Es wird geschaut, wo Zeit optimiert, wo etwas eingespart werden kann, damit es günstiger wird. Und das ist eben Arbeitszeit. Menschen kosten einfach viel. Die Firmen schauen, wo sie streichen können, so dass Pausen gekürzt werden oder dass es keine Aufenthaltsräume für Mitarbeiter mehr gibt, wo sie einfach mal zusammen kommen und einen Kaffee trinken können. Das sind alles so Sachen, die dazu führen, dass man aufhört sich wohlzufühlen, wenn man arbeitet. Dazu kommt, dass sich viele Menschen nicht mehr darüber bewusst sind, was Worte auslösen können. D.h., wenn ich jetzt als Chef irgendwelche herablassenden Bemerkungen zu einem Mitarbeiter mache, dann mag ich das vielleicht als nicht weiter schlimm ansehen. Der Mitarbeiter aber empfindet es als ganz schrecklich. Er hat vielleicht gerade mit privaten oder gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, hat Angst arbeitslos zu werden und ist dadurch viel empfindlicher, als man erwartet. Man sieht ja nie in einen Kopf hinein, weiß nie, was derjenige gerade erlebt hat. Deswegen ist es wichtig, auf die Worte, die man nutzt, aufzupassen. Worte können mindestens ebenso verletzen wie Waffen.

Was möchtest Du in dem Zusammenhang Menschen raten?

Egoismus ist ja immer etwas verpönt, aber ich glaube, ein gesunder Egoismus ist sehr wichtig. Man muss also schauen, dass es einem gut geht, sonst kann man auch nicht im Sinne von anderen Menschen funktionieren. Ich hatte jetzt gerade ein langes Gespräch mit einem für mich sehr wertvollen Menschen. Das Thema war: Wenn du dich selbst nicht lieben kannst, wie kannst du dann von anderen Menschen erwarten, dass die dich lieben? Ich glaube, genau darum geht es. Man muss sich um sich selbst kümmern, sich selbst lieben. Wenn man sich selbst mit seinen Wünschen und seinen Emotionen wahrnimmt, kann man auch auf andere Menschen zugehen und denen was abgeben. Ich finde es ganz wichtig, zu fragen: Fühle ich mich wohl? Fühle ich mich mit mir selbst wohl? Was kann ich tun, damit ich mich wohlfühle? Und dann muss ich diesen Egoismus auch leben und vielleicht auch mal sagen, stopp – hier war eine Grenze, die wurde gerade überschritten. Oder dass ich mir so ganz banale Sachen wie einen Spaziergang gönne, mir die Zeit dafür frei schaufle. Das ist nicht immer einfach, gerade wenn man Kinder hat. Es ist wichtig, den Körper wieder wahrzunehmen. Wir Erwachsenen verlieren das meistens. Man kann das an Kindern so schön sehen. Die essen nur, wenn sie Hunger haben und die bewegen sich, wenn ihnen danach ist. Es ist essentiell, dass man wieder zu sich steht und auf sich achtet.

Du hattest letztes Jahr einige Tage in einem Kloster verbracht. Wie war das für Dich?

Mit der Uraufführung von „Burnout“ hatte ich mir einen lang gehegten, unfassbar großen Traum erfüllt. Die Umsetzung so eines Projektes hat positive, aber auch negative Seiten. Es ist nicht immer einfach, damit klar zu kommen. Und so kam es, dass ich letztes Jahr im Sommer das starke Bedürfnis spürte, ein paar Tage nur für mich zu haben. Da sind wir jetzt wieder bei dem Egoismus. Ich wollte raus aus meiner Familie und raus aus dem ganzen Berufsleben. Ich wollte weder Handy noch Internet haben. Ich brauchte einfach etwas Ruhe und Zeit für mich. Meine Wahl fiel auf ein Kloster. Ich hatte einen Bericht über den Aufenthalt Christine Westermanns in einem Kloster gesehen. Sie hatte sich schwer getan, mit der Stille und dem Alleinsein, aber das war genau das, was ich wollte – diese Grenze überschreiten. Ich wollte einfach mal nichts haben. Heute ist das ja schwierig, ohne Handy zu sein, nicht erreichbar. Da ich seit gut einem Jahr Chi Gong mache, habe ich mir ein Kloster in der Nähe von Hamburg ausgesucht, in dem ich auch die Möglichkeit dazu hatte. Chi Gong bringt mir sehr viel Kraft und Energie. Ich war dann fünf Tage in dem Kloster und es hätten gut noch zwei Tage mehr sein können. Ich habe mich dort wirklich aufgehoben, zu Hause gefühlt. Die Leute waren unglaublich nett. Was mich sehr beeindruckte – es gab dort einen Klosterladen, in dem man absolut hochwertige Sachen, von Kerzen über Bücher bis hin zu Schokolade, kaufen konnte. In diesem Laden war keiner. Da lag nur ein Holzbrett und wenn man sich etwas gekauft hatte, legte man den Betrag dafür auf dieses Brett. Das war die Kasse des Vertrauens. Ich fand das so schön! Dieser Name, Kasse des Vertrauens und dazu das Bild eines Orts, wo Menschen einander so sehr vertrauen. Es war schön, von Menschen umgeben zu sein, die alle dasselbe wollen. Es herrschte das positive Gefühl – wir sind alle gut füreinander. In der Chi Gong Gruppe waren wir 10 Leute. Jeder hatte sein eigenes Leben und seine eigenen Probleme mitgebracht, aber wir waren uns darin einig, die nächsten Tage dafür zu nutzen, an uns zu arbeiten. Ich dachte, wie kann es sein, dass völlig fremde Menschen so respektvoll miteinander umgehen? Und an anderen Stellen gibt es Menschen, die sich eigentlich gut kennen, die an einem Projekt zusammen arbeiten, aber es nicht schaffen, respektvoll, glücklich und zufrieden miteinander umzugehen. Diese Zeit im Kloster hat mir gezeigt, wie friedlich ein Miteinander sein kann, wenn sich Menschen mit Respekt begegnen. Das ist so wichtig. Es gibt ein gutes Gefühl, weil man sich wertvoller, wertgeschätzter sieht. Genauso empfinde ich Offenheit und Aufeinander-Zugehen als sehr wichtig in der heutigen Zeit. Neben der Hochzeit und der Geburt meiner Kinder zählt die Zeit im Kloster zum Schönsten, was ich bisher erleben durfte.

Was würdest Du gerne mal gefragt werden?

(lacht) Jetzt überforderst du mich etwas.

Ich mache es Dir einfacher. Gibt es etwas, das Du noch gerne erzählen möchtest?

Als ich sagte, dass ich ein Stück machen werde, das „BurnOut“ heißen wird, war die Reaktion vieler Menschen, nahezu aller: „Um Gottes willen, wie kannst Du so etwas nur tun! Da wird ja nie einer reingehen und sich das angucken!“ „Das wird nicht funktionieren. Wer möchte sich denn mit so etwas auseinandersetzen.“ Ich war sehr dankbar, dass zumindest Jens (der Komponist des Musicals, Jens Uhlenhoff) sofort an den Inhalt, den Titel und das Stück geglaubt hat. Bis heute führe ich noch immer viele Diskussionen bezüglich des Titels. Vielleicht haben die Leute auch Recht und vielleicht hätten wir mehr Zuschauer, wenn der Titel „Bunter Schmetterling, Himmel, Larifari“ wäre. Aber ich finde ihn nach wie vor gut, und jeder, der in der Show war, weiß, dass mehr als Burnout drin ist. Manche reagierten zuerst mit: „Musical mag ich nicht.“ Die, die dann trotzdem in der Show waren, weil sie einen von uns kennen, waren hinterher vollkommen erstaunt darüber. Einer der häufigsten Kommentare war: „Ich wusste gar nicht, dass Musical das kann.“ Daher wünsche ich mir von Menschen mehr Offenheit gegenüber Ideen, Projekten, Kunst und vor allem gegenüber anderen Menschen.

 

Sabine Haydn, Musical, Musical Burnout

Sabine Haydn studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaften an der Universität Wien und schloss an der University of California, Los Angeles ein Drehbuchstudium ab. Neben ihrer Tätigkeit als Texterin / Konzepterin für eine Werbeagentur entwickelte sie Konzepte für den ORF.
Heute lebt sie in Berlin und ist Inhaberin der Firma SH Produktionen.
2015 wurde ihr Musical „BurnOut“ uraufgeführt. Ein weiteres Musical „Kann den Liebe Sünde sein“ wartet noch auf seine Premiere.

 

Szenenfotos: Karsten Noack

Internetseite des Musicals „BurnOut“