Mein langer Weg zum Gesang

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Ich stelle immer wieder fest, dass Menschen irritiert sind, weil ich in keine Schublade passe. All meine Tätigkeiten haben sich im Verlauf der Zeit ergeben. Sie sind Teil meiner Persönlichkeit, gehen zusammen oder ergänzen sich. Alle Teile sind wie ein Puzzle, das jetzt ein sinnvolles Bild ergibt. Inzwischen erkennen auch andere den Wert dieser Vielseitigkeit.
Damit es für Euch nachvollziehbar ist, habe ich auf Facebook angefangen, darüber zu schreiben, wie ich zu den verschiedenen Tätigkeiten kam. Die Beiträge über Tanz und meine Arbeit als Make-up Artist/ Stylist sind nur in Facebook zu lesen, weil Kenntnisse aus diesen Bereichen zwar in meine Arbeit mit Menschen einfließen, aber nicht unmittelbar Bestandteil von KORIS – soulART sind. Hier beginne ich mit GESANG.

Bereits als Teenager habe ich gerne gesungen. Meist waren es Titel von Marianne Rosenberg, die ich mit Inbrunst in den Tag schmetterte. Anfang der 80iger wollte ich an der Musikschule, ich wohnte damals in Frankfurt (Oder), Gesangsunterricht nehmen. Ich sang vor und wurde mit der Begründung, ich hätte einen Stimmdefekt, abgewiesen. Das war es dann erstmal. Mitte der 90iger ging es mir mental nicht gut. Als Gegenmittel erfüllte ich mir einen lang gehegten Wunsch und nahm an einem 14tägigen Musical-Workshop an der Stage School Hamburg teil. Am ersten Tag wurden die Teilnehmer, nach Vorsingen, -sprechen und –tanzen, in drei Leistungsgruppen eingeteilt. Im Tanz war ich geübt, aber in Schauspiel und Gesang hatte ich noch nie Unterricht. Ich konnte es kaum fassen, dass ich zusammen mit Leuten, die ich beim Vorsingen bewundert hatte, in die Gruppe mit dem höchsten Leistungsniveau kam. Dann wurde ich auch noch von unserem Gesangsdozenten John Lehman ausgewählt, zur Abschlussveranstaltung solistisch zu singen. Als Tänzerin war mir die Bühne vertraut, aber würde ich in der Aufregung auch meine Stimme beherrschen können? Ich konnte. Im voll besetzten Amerikahaus sang ich Fräulein Schneiders „Na und“ aus „Cabaret“ und ein kleines Solo in einer Gruppenszene aus „Pippin“. Das war eine bahnbrechende Erfahrung für mich. Ich hatte das erste Mal allein auf einer Bühne vor vielen Menschen gesungen – ohne Mikro, nur mit Klavierbegleitung. Nach der Vorstellung kam John zu mir und sagte, ich solle unbedingt weiter machen. Ich war überglücklich. Doch es war kein geeigneter Lehrer in der Nähe und ich hatte ja einen Job, der mich stark in Anspruch nahm und das Tanzen. Das war es dann erstmal wieder.
Vier Jahre später riss mir das Schicksal komplett den Boden unter den Füßen weg. Mein Mann starb kurz nach einem gemeinsamen Arbeitsaufenthalt in Westafrika. Ich konnte mich nicht von ihm verabschieden, da er unter Ebolaverdacht auf der Isolierstation des Virchow Klinikums in Berlin lag. Ich musste auf unserem Bauernhof in der Nähe von Frankfurt (Oder) bleiben und hätte auch gar nicht die Kraft gehabt, nach Berlin zu fahren, denn ein Horrortrip lag hinter mir, und ich war am Ende meiner Kräfte. Trotzdem hatte ich Schuldgefühle, weil ich nicht bei meinem Mann war, als es ihm schlecht ging und er nur noch von Kunststoff und Menschen in Schutzanzügen umgeben war. Ich begann, mir meine Gefühle vom Herzen zu schreiben.
1-ullmann_coverIn Folge entschloss ich mich, dieses Herzblut zu Songtexten zu verarbeiten und für meinen Mann eine CD aufzunehmen. Es fügte sich, dass nun John Lehman regelmäßig in Berlin unterrichtete. So oft es mir möglich war, fuhr ich zum Gesangsunterricht. Jetzt hatte ich ein Ziel. Ich übte, textete, befasste mich mit Musikrecht, GEMA und CD-Herstellung, überwand Tränen und den Kloß im Hals beim Singen, suchte und fand Komponisten und Produzenten. 2006, nach sechs Jahren Arbeit, hielt ich endlich, die unter eigenem Label produzierte CD „Geschichten einer Liebe“ in Händen. Der Weg dorthin war mein ganz persönlicher Jakobsweg, auf dem ich etliche Widerstände und Hürden überwinden musste. Ohne die Liebe in meinem Herzen und den Willen, meinem verstorbenen Mann ein Geschenk zu machen, hätte ich das sicher nicht geschafft. Das Anschauen und in Worte fassen meiner Gefühle, sowie den nötigen Abstand gewinnen, um die Lieder singen zu können, war ein Stück Verarbeitung der traumatischen Ereignisse im Sommer 1999.
Eigentlich wollte ich nur diese CD aufnehmen, doch ich bemerkte, dass sich beim Singen mein Herz öffnete und ich Menschen berühren konnte. Ich blieb dabei. Mein Mann beschenkte somit auch mich. Er brachte mich dazu, endlich das zu tun, was ich schon immer wollte, mich aber vorher nie mit dieser Konsequenz traute.

„Es geht weiter“ von der CD „Geschichten einer Liebe