Von der Modebranche in die Bahnhofsmission

Von der Modebranche in die Bahnhofsmission

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Im Mai diesen Jahres war ich das erste Mal mit einem Filmteam* in der Berliner Bahnhofsmission am Zoo.
Alle angestellten und ehrenamtlichen Mitarbeiter versammelten sich zu einer Besprechung um einen großen Tisch. Sie fiel mir sofort auf, als sie den Raum betrat. Shiva Baberowski, eine zierliche, attraktive Frau mit dunkel glänzenden Augen. Ihr Gesicht strahlte freundliche Gelassenheit aus. Solch eine Frau hätte ich wohl eher in einer Boutique als in einer Bahnhofsmission erwartet. Ich wollte mehr über sie wissen, warum sie hier arbeitet.
Es verging einige Zeit, bis wir einen gemeinsam freien Termin fanden, doch nun empfängt Sie mich mit einem freundlichen Lächeln in ihrer geschmackvoll, klar eingerichteten Wohnung. In den Räumen stehen Blumen, die sie selbst kunstvoll arrangierte. Sie scheint etwas verlegen. Ich merke, dass sie nicht gerne im Mittelpunkt steht und bin froh, dass sie einem Interview zugestimmt hat.

Dein Name ist Shiva. Das ist kein deutscher Name. Woher kommst du?

Ich bin im Iran geboren und gehöre einer nationalen Minderheit, den türkischen Aserbaidschanern an. Nordaserbaidschan gehörte früher zur Sowjetunion und ist jetzt eine autonome Republik. Meine Muttersprache ist Aserbaidschanisch und meine zweite Sprache Persisch.

Wie lange lebst du schon in Deutschland?

Seit etwa 30 Jahren. Davor war ich mit Unterbrechungen im Iran und in Amerika. Ich kam nach Deutschland, um hier zu studieren. Im Iran war mir das damals nicht möglich.

Was hast du studiert?

Ich wollte Architektur oder Design studieren. Aber der Zufall wollte es, dass ich meinen Mann kennen lernte. Er studierte zu der Zeit in Göttingen. Für mein Studium hätte ich in eine andere Stadt gehen müssen. Das wollte ich nicht. Darum habe ich mit Mathematik und Anglistik angefangen. In der Schule mochte ich Mathematik, aber nach einem Semester stellte ich fest, dass es nicht meine Sache ist und wechselte zu den Wirtschaftswissenschaften. Das Studium schloss ich dann auch ab.

Wie ging es nach dem Studium beruflich weiter?

Ich habe in der Modebranche gearbeitet. Das ergab sich ganz zufällig.
Ich ging in ein Geschäft, um Schuhe für meinen Mann zu kaufen. Die Geschäftsführerin bewunderte meine Kleidung und fragte nach der Marke. Ich sagte, dass ich die Sachen selbst genäht hätte, dass ich Hobbyschneiderin sei. Sie war begeistert und bot mir an, bei Ihr zu arbeiten. Nach einem Termin bei ihrem Bruder, dem die Bekleidungsfirma gehörte, wurde ich eingestellt. Es wäre mir nie eingefallen, in einem Modeunternehmen zu arbeiten. Ich hatte mich bei diversen Banken und Behörden beworben. In der Modebrache brauchte man eigentlich immer Zertifikate, Abschlüsse von einer Modeschule. Umso glücklicher war ich, ohne einen derartigen Abschluss eine Chance zu bekommen. Ich begann im Büro und als man sah, dass ich Potential hatte, übertrug man mir immer mehr Aufgaben. Letztendlich habe ich alles gemacht, vom Einkauf über Design bis zur Qualitätsprüfung. Es hat mir viel Spaß bereitet und es war eine schöne Zeit.

Was hast du designt?

Alles, was die Firma produzierte. Als ich anfing, hatten wir nur Herrenmode, allerdings das gesamte Spektrum. Das umfasste alles, von Hemden über Anzüge bis hin zu Schuhen. Durch meine selbst entworfenen Sachen hatte ich Aufmerksamkeit erregt und man kam auf die Idee, auch eine Frauenlinie zu entwickeln. Nach ein paar Jahren fingen wir damit an. Das Produktspektrum war hier nicht so breit wie bei den Herren, aber es war hochwertige Businessgarderobe für Frauen, die auf Qualität Wert legen. Die Sachen kamen sehr gut an.

War das eine deutsche Firma?

Die Firma war in Deutschland ansässig, aber der Inhaber war ein Franzose.
Es wurde in Italien und Portugal produziert und ich war für die Qualitätskontrolle viel in diesen Ländern unterwegs.

Wie lange hast du das gemacht?

Von 1995 bis 2002 war ich bei der Firma angestellt. Dann kam ich nach Berlin, weil mein Mann hier eine Stelle bekam. Ich habe selbständig weiter für die Firma gearbeitet. Wenn die Firma mich vor Ort brauchte, besonders wenn neue Kollektionen anstanden, bin ich hingefahren. Aber hauptsächlich habe ich von Berlin aus gearbeitet.
Mein Arbeitsgebiet beschränkte sich dann auf Modellentwicklung und Qualitätskontrolle, weil die anderen Arbeiten, wie Stoffauswahl von hier aus nicht mehr möglich waren. Dafür muss man eng mit dem Kollektiv zusammen arbeiten.

1-DSC08172-001Jetzt arbeitest Du in der Bahnhofsmission am Zoo, kümmerst Dich um Obdachlose. Wie kommst du nach all dem, was du getan hast, dort hin?

Dadurch, dass ich nicht mehr so intensiv gearbeitet habe, hatte ich Zeit, etwas anderes zu tun. Und nach so vielen Jahren Arbeit für den schönen Schein hatte ich das Bedürfnis nach Veränderung. Ich spürte den Drang etwas gänzlich anderes zu machen, als bisher. Von Natur aus bin ich sozial eingestellt und dachte, ich muss etwas Sinnvolleres tun, als nur lesen, Musik hören oder schneidern. Den Wunsch hatte ich schon immer. Es war der richtige Zeitpunkt, das auch anzugehen. Ich hatte mich an verschiedenen Stellen für ein Ehrenamt beworben, auch am Hauptbahnhof, hörte aber nichts. Ich wunderte mich, dass keiner antwortete. So bin ich eines Tages persönlich zum Hauptbahnhof gegangen und habe mit der zuständigen Person gesprochen. Das Ergebnis war, dass ich eine Zeit lang ehrenamtlich bei der Bahnhofsmission am Hauptbahnhof arbeitete. Aber dort war man damals mehr auf Reisende und Kids on tour fokussiert. Mir war es mehr nach der anderen Seite des Lebens, auch eine Frage der Selbsterkundung. Ich hatte immer Berührungsängste, vielleicht auch Vorbehalte gegenüber Obdachlosen. Ich will den Begriff Penner nicht benutzen, weil mir das zu billig ist, zu profan. Es behagt mir nicht, aber ich hatte Probleme mit Obdachlosen. Insgeheim sagt man sich, wenn man will, kann man es ändern. Jeder kann in seinem Leben etwas ändern. Nun war für mich die Zeit, da rauf zu schauen und mit den Berührungsängsten abzuschließen. Ich sagte mir, entweder wird deine Meinung bestätigt oder du musst sie revidieren. Also der Hauptbahnhof war nicht das, was ich wollte. Wieder half der Zufall. Ich begleitete einen Kollegen. Wir wollten Spenden in der Mission am Bahnhof Zoo abgeben. Ich habe den Betrieb gesehen, diese Atmosphäre gespürt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich dachte, da möchtest du hin. Ich habe dann mit dem Leiter vom Hauptbahnhof gesprochen, ob ich wechseln könne. Das ging. Ich fing am Zoo an, ehrenamtlich zu arbeiten. Am Anfang wollte ich nur einen Tag in der Woche arbeiten. Daraus wurden 3 und 4 und bei Bedarf ging ich noch häufiger hin. Es hat mir so viel Spaß gemacht. Das Miteinander der Kollegen und die Wärme, die man von den Gästen entgegengebracht bekam waren sehr beglückend. Das hat mich umgehauen. Ich spürte den starken Wunsch im sozialen Bereich tätig zu sein und erkundigte mich bei einem Kollegen, ob das möglich wäre, ob er da eine Stelle wüsste. Er hatte dann wohl auch mit Dieter Puhl, dem Leiter der Bahnhofsmission am Zoo darüber gesprochen. Und wieder zufällig wurde eine Stelle frei. So kam ich dazu, dort zu arbeiten. Die Arbeit bereitet mir so viel Freude, dass ich mit keiner anderen Stelle tauschen würde. Auch wenn es manchmal sehr nervenaufreibend oder körperlich anstrengend ist, kann ich mir keine schönere Arbeit vorstellen.

Was würdest du gerne mal gefragt werden?

(lacht) Gar nichts. Ich denke darüber nicht nach.

Gibt es etwas, das du gerne mitteilen würdest?

Dass die Leute den Mut haben sollen, sich zu engagieren, etwas zu tun, etwas Neues auszuprobieren. Wenn ich in meinem Bekanntenkreis erzähle, dass ich bei der Bahnhofsmission arbeite, geht bei denen die Kinnlade runter: „Was du? Das hätten wir von dir wirklich nicht erwartet!“ Wenn man sich den Schritt zu unbekannten Ufern traut, einfach mal etwas ausprobiert, kann das die Sichtweise völlig verändern. Sich sozial zu engagieren gibt einem so viel, dass man nach der Arbeit wirklich beseelt nach Hause geht.
*Artrejo cinemaz production dreht derzeit einen Film über Obdachlose in Berlin. Damit sollen Menschen auf das Thema aufmerksam gemacht und sensibilisiert werden, hinzuschauen, zu hinterfragen und zu helfen. Ich bin glücklich, Teil des Teams zu sein.