Ich tat, was Sokrates sagte

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Von dem griechischen Philosophen Sokrates ist folgender Satz überliefert: „Alles was wir in Worte fassen können, können wir hinter uns lassen.“

Genau das hatte ich damals intuitiv getan, als mein Mann gestorben war.* Immer wenn schmerzliche Gedanken aufkamen, schrieb ich diese auf ein Stück Papier, dass ich gerade zu fassen bekam. Es wurde dann ruhiger in mir. Überall im Haus lagen Zettel mit Wortfetzen herum und irgendwann begann ich sie in einem Umschlag zu sammeln. Doch das genügte mir noch nicht. Ich hatte Schuldgefühle, weil ich nicht bei meinem Mann sein konnte, als es ihm schlecht ging. Die waren eigentlich unbegründet, denn ich durfte und konnte nicht zu ihm. Er lag im Berliner Virchow-Klinikum unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen auf der Isolierstation und ich durfte von unserem Grundstück auf dem Land, 120 km entfernt, nicht weg. Ich hätte es auch kräftemäßig nicht geschafft. So war er alleine gestorben.
Auch wenn der Verstand sagte, du konntest nicht zu ihm, war das Empfinden anders. Dieses meinte, ich hätte bei meinem Mann sein sollen. Ich musste etwas tun, um mir selbst verzeihen zu können. Und so begab ich mich auf einen Weg, für den ich sonst wohl nie den Mut gehabt hätte. Ich nahm Gesangsunterricht, schrieb aus meinen Wortfetzen Texte, gründete ein Musiklabel und produzierte eine CD für meinen Mann, in der ich all meinen Gefühlen Ausdruck verlieh. Musik koppelt Worte noch intensiver an Gefühle. Die erste Zeit liefen Tränen und die Stimme versagte beim Singen. Dazu kam, dass ich absolut keine Ahnung von der Musikbranche hatte. Ich musste mir alles erfragen, anlesen, irgendwie aneignen. Es war ein langer beschwerlicher Weg und ich hatte gegen Ende das Gefühl, meinen ganz persönlichen Jacobsweg zu gehen. Im Jahr 2006, nach 6 Jahren, hatte ich endlich die CD „Geschichten einer Liebe“ in der Hand. Sie war unter extremen Bedingungen mit dem Einsatz meiner letzten Kräfte produziert.

Auch von außen wurde ich dazu gedrängt, meine Gefühle in Worte zu fassen. Es bestand ein großes Interesse der Medien, dem ich mich nicht völlig entziehen konnte. Als mein Mann im Virchow-Klinikum lag, wurde mein Haus von Kamerateams regelrecht belagert. Nach seinem Tod, gab es Vermutungen und Spekulationen, die mich verletzten, weil Menschen, die ihn nicht kannten, ihm eine Verwechslung unterstellten. So ging ich vor die Kamera, um das klarstellen zu können. Das kostete mich alles sehr viel Kraft, doch jetzt weiß ich, dass es auch eine gute Seite hatte. Ich war gezwungen hin zu schauen und mich mit meiner Situation und meinen Gefühlen auseinanderzusetzen. Es gab noch genug, das ich vorerst verdrängte.
2005 wurde ich gefragt, ob ich an einem Buch** über Verlustverarbeitung mitwirken wolle. Ich hatte Connie Palmens Buch über ihre große Liebe Ischa Meijer und dessen Tod gelesen. Es war für mich tröstlich, zu wissen, mit diesem Schmerz nicht alleine zu sein. Meine Geschichte würde vielleicht anderen helfen können. Ich sagte zu.
Es sind nur 19 Seiten, die unter Tränen, seelischen und körperlichen Schmerzen geschrieben wurden. Ich hatte mich in ein kleines Hotel im Spreewald zurückgezogen, um ungestört zu sein. Nach 5 Tagen musste ich abbrechen, da mein Körper völlig verspannt war, ich unter starken Kopfschmerzen und Übelkeit litt. Nach einer Ruhepause schrieb ich weiter. Es war ein Teil Aufarbeitung und ich glaube, es war die Initiation für meine schriftstellerische Arbeit.
Jetzt nach fast 16 Jahren, in denen es immer wieder Phasen der Aufarbeitung gab, habe ich begonnen, die ganze Geschichte zu schreiben. Ich brauchte die Zeit, um mit Abstand auf die Geschehnisse schauen zu können. Doch nun werde ich auch das, was ich bisher im Verborgenen hielt in Worte fassen.
Und es wird nicht nur Trauriges geben, sondern auch Spannendes und Liebevolles.

Ein Liedtext von meiner CD „Geschichten einer Liebe“

Es geht weiter

Fühle meine Kräfte schwinden –
kann nicht mehr – will nicht mehr.
Möcht mich einfach fallen lassen –
aber keiner ist da, der mich fängt.

Schwarze Locken – oftmals viel zu kurz –
hab sie geliebt – hab dich geliebt.
Das Leben geht weiter – einfach so –
es fragt nicht nach Schmerz – fragt es nicht.

Fühl mich so leer – alles ist taub – halt mich in deinen Armen –
lass mich deinen Herzschlag spüren.
Fühl mich so leer – alles ist taub – halt mich in deinen Armen –
will in deinen Blicken versinken.

Nie wieder meine Spuren von Deiner Brille putzen.
Nie wieder Deine Geschichten hören.
Nie wieder bangend auf Dich warten.
Nie wieder deine Hände spüren.

Fühl mich so leer – alles ist taub – halt mich in deinen Armen –
lass mich deinen Herzschlag spüren.
Fühl mich so leer – alles ist taub – halt mich in deinen Armen –
will in deinen Blicken versinken.

Vorbei – doch ich leb weiter – und ich mach was draus –
für dich und mich – und alle, die denken, dass es keine Hoffnung gibt.

Fühl Kraft in mir – kann Berge versetzen – spüre deinen Willen –
führe deinen Herzschlag fort.
Fühl Kraft in mir – kann Berge versetzen – spüre deinen Willen –
deinen letzten Blick vergess ich nie.
*Im August 1999 starb mein Mann nach einem gemeinsamen Arbeitsaufenthalt in Westafrika an Gelbfieber.

**„Stärker als je zuvor“ von Heike Reuther, Ullstein Buchverlage