Ich lernte Anja Zawadzki (33) über Facebook kennen. Die junge Frau interessierte mich. Ich spürte den starken Willen, voranzugehen und zugleich Unsicherheit, die wohl aus fehlender Klarheit über ihren Weg resultierte. Ich glaube, es sind viele ebenso auf der Suche und es könnte für sie interessant sein, darüber zu lesen. So fragte ich Anja, ob sie mit einem Interview einverstanden wäre. Sie sagte zu.
Anja, was ist Dein Beruf?
Ach schon die schwerste Frage. Ich bin selbständig als Ernährungsberaterin und Entspannungstherapeutin. Wobei ich nebenbei auch noch Kleinkinder betreue, so wie sich das zeitlich fügt und sich stimmig anfühlt.
Machst Du das schon immer?
Ich habe ganz klassisch einen Beruf gelernt und zwar Hotelfachfrau. Mir war aber während der Lehre schon klar, dass ich den Beruf nicht weiter ausführen wollte. Ich war ja erst 19 als ich mit der Lehre fertig war. Es war damals eine schwere Zeit für mich. Ich hatte viel mit Mobbing zu tun. Das
hat mich sehr geprägt. Ich war mit 16 zu Hause ausgezogen, also neuer Start, neues Umfeld. Ich musste plötzlich auf Menschen zugehen und hatte das Gefühl, dazu noch gar nicht richtig bereit zu sein. Dazu kam, dass ich in einem Dorf aufwuchs und nun in der Stadt zwischen vielen Menschen lebte. In meinem letzten Ausbildungsjahr veränderte sich sehr viel. So wandte ich mich von Freunden ab, weil ich ihre Freundschaft als sehr oberflächlich empfand und mich den Regeln der Klicke nicht mehr unterordnen wollte. Ich war jemand, der mehr am Rand steht, als im Mittelpunkt. Ich fand dann zunehmend zu meiner Kreativität und stellte die Lehre immer mehr in Frage. Ich war mir nicht mehr sicher, ob ich das überhaupt machen will, aber die Frage nach einer Alternative gab es nicht. Meine Eltern haben da den Ton angegeben, so dass ich mich irgendwie fügen musste.
Du hast gesagt, dass Du viel mit Mobbing zu tun hattest. Gab es auch schon in Deiner Schulzeit diesbezüglich Probleme?
Ja, ab und zu, weil ich von meiner Art und Weise etwas anders war. Dazu kam, dass meine Eltern mich nicht viel raus gelassen haben. Wenn z.B. andere ins Schwimmbad gefahren sind, war das für mich ein Krampf zu fragen, ob ich mit darf. Ich habe sehr viele „nein“ erfahren, wodurch ich Angst entwickelte, zu fragen. Meine Mutter hatte zu Hause kaum etwas zu sagen. Es ging alles über meinen Vater. Und wenn der „nein“ gesagt hatte, was meistens der Fall war, war mir das peinlich. Ich habe mir dann Ausreden ausgedacht, warum ich nicht mit kann, oder gab an, selbst keine Lust zu haben. Wenn ich nicht dabei war, konnte ich nicht mitreden, stand also irgendwie immer im Außen. Da lassen sich die anderen dann eben darüber aus. Auch gab es Streitereien, wer die beste Freundin von wem ist. Ich hatte immer das Gefühl, um eine Person kämpfen oder mich verstellen zu müssen, um irgendwo Anklang zu finden. Am Ende der Schulzeit bin ich da nicht mehr mitgegangen. Ich wollte schon irgendwo Anschluss finden, aber bemerkte, dass es so nicht mehr weiter gehen konnte. Ich war sehr enttäuscht, wie das alles lief und habe mich dann den Außenseitern angeschlossen. Die waren außerdem kreativer.
Wie hast Du es geschafft, aus der Angst vor einem „nein“ und vor Ablehnung herauszukommen?
Nach meiner Lehre wohnte ich ein dreiviertel Jahr bei meinen Eltern. Das ging gar nicht gut. Ich musste da weg. So habe ich die letzten Wochen bei meinem Bruder in der nächstgrößeren Stadt gewohnt, von wo aus ich mir einfach irgend einen Job in Berlin suchte. Das lief anfangs auch nicht optimal. Besser wurde es erst etwa 4 Jahre später, als ich eine Therapie anfing. Bei dieser ging es um die Aufarbeitung der Vergangenheit. Zu der Therapie entschloss ich mich ja erst, als es mir wirklich schlecht ging, ich keinen Ausweg mehr sah. Ich hatte viele Nervenzusammenbrüche, war total emotional und konnte mein Leben nicht mehr verstehen. Zeitweise litt ich unter Reizüberflutung und weinte viel. Ich habe öfters gekündigt, weil irgendetwas war, was mich nervte oder unzufrieden machte. Zu dieser Zeit arbeitete ich wegen Personalmangels teilweise 14 bis 20 Tage hintereinander. Ich bekam Schlafprobleme, konnte nicht mehr still sitzen und war total fertig. Das ging so weit, dass ich morgens nicht mehr aufstehen konnte. Mir wurde klar, dass es so nicht mehr weiter gehen kann, ich mir Hilfe suchen muss. Ich ging zu meiner Hausärztin, um mich krank schreiben zu lassen, doch nach einem längeren Gespräch verließ ich die Praxis mit einer Überweisung. Ich war dann ein dreiviertel Jahr in Therapie. Das war auch nicht leicht, aber ich wusste, wenn ich mich da nicht öffne und mitmache, habe ich keine Chance. Nach der Therapie hatte ich das Gefühl, als wäre ein riesengroßer Schleier von mir genommen. Es musste auch eine äußerliche Veränderung her. Meine Kleidung war vorher überwiegend Schwarz. Das mochte ich nun nicht mehr und meine dunklen Möbel lackierte ich alle hell. Meine Wohnung, die total verbaut war, die Schränke standen fast vor dem Fenster, weil ich mich total eingeigelt hatte, räumte ich um. Je mehr Fortschritte ich machte, um so heller wurde es in der Wohnung. Nach der Therapie konnte ich das Zusammenwirken der Bereiche Partnerschaft und Beruf verstehen. Wenn ein Bereich nicht funktioniert, muss der andere diesen Bereich quasi mit stützen. Und wenn beide Bereiche nicht funktionieren, dann ist halt nichts mehr da, worauf man sich irgendwie stützen kann. Das hat ganz viel in meinem Denken bewirkt, so dass ich nicht mehr so negativ war und damit auch mein Ängste loslassen konnte.
War es für Dich dann einfacher, auf Leute zuzugehen?
Ja. Meine Wahrnehmung hatte sich verändert. Vorher hatte ich Gedanken wie, die anderen fügen einem immer nur Leid zu oder man kann sich auf niemanden verlassen, man wird am Ende immer enttäuscht. Und nun war ich neugierig und hatte einfach Lust, auf andere zuzugehen. Dadurch kam ich mehr raus und unter Leute. Ich bemerkte, dass ich mit einigen Menschen keinen Kontakt mehr haben wollte. Ich befasste mich dann auch damit, wo überhaupt meine Interessen liegen und ob ich darüber Menschen kennenlernen kann.
Wann war für Dich endgültig klar, dass Du nicht den richtigen Beruf gelernt hast?
Ich glaube der erste Impuls kam, als ich noch ganz normal im Angestelltenverhältnis war, im Verkauf. Damals hatte ich ein Fernstudium angefangen. Ich wollte lernen, wie man Bücher schreibt. Das war ein Kindheitstraum von mir. Ich hatte immer sehr viel gelesen und dachte, dass da vielleicht meine Zukunft liegen könnte. Dann, ca. zwei Jahren später, hatte ich das Gefühl, dass es schade ist, sich den ganzen Tag in Räumen aufhalten zu müssen. Ich vermisste die Sonne, den Aufenthalt im Freien. Im Winter steht man im Dunkeln auf und kommt im Dunkeln nach Hause. Ich dachte, muss das wirklich so sein oder geht es auch anders? Dann kam auch das Gefühl, dass ich meine Zeit verschwende, dass das nicht mein Leben ist. So fand ich zum Onlinebusiness, bei dem man orts- und zeitunabhängig arbeiten kann. Das fand ich total interessant und dachte, dass ich die Sachen, die ich gerne mache, ja irgendwann auch zum Beruf machen kann. Da waren natürlich noch ganz viele Ängste dabei.
Wie bist Du zur Ernährungsberatung gekommen?
In der Zeit, als ich die Schlafstörungen hatte, ging es mir auch körperlich sehr schlecht. Ich habe wohl auch aus emotionalen Gründen viel Müll, wie Fastfood, gegessen. Als ich merkte, dass es meine Energie raubt, mich runterzieht, ich hatte zu der Zeit auch Allergien, habe ich mein
Essverhalten hinterfragt und mich intensiv mit dem Thema befasst. Dadurch war ich schon so sehr in dem Thema, dass es naheliegend war, beruflich in diese Richtung zu gehen und habe eine Ausbildung als Ernährungsberaterin gemacht.
Bist Du mit der Ernährungsberatung in die Selbständigkeit gestartet?
Nein, ich bin erstmal in die Arbeitslosigkeit gegangen, habe aber gleich angegeben, dass ich mich selbständig machen will. Für mich war klar, dass ich eine Pause brauche, um von meinem Stresslevel runter zu kommen. Und ich wollte erst alles genau durchdenken, wie ich es angehen und umsetzen kann. Ich habe einen Businessplan geschrieben und bin über das Jobcenter in die Selbständigkeit gestartet. Ich merkte, dass es gar nicht so einfach ist, mit der Selbständigkeit. Es dauerte ca. ein Jahr, bis ich mich traute, völlig autark zu arbeiten. Am Anfang lief alles nicht so, wie gedacht und geplant. Es war finanziell echt eine Herausforderung. Mit Hilfe meines damaligen Freundes konnte ich dann auch ein Onlinebusiness beginnen.
Worin besteht Dein Onlinebusiness?
Ich habe einige E-Books zum Thema Entgiftung des Körpers geschrieben, die ich verkaufe. Pflanzen, speziell Kräuter und Alternativmedizin interessieren mich sehr. Vor ca. vier Jahren fing ich an, Kräuter zu sammeln und biete auch geführte Kräuterwanderungen an.
Du hast eine sehr schöne Haut. Hast Du die schon immer oder erst seit Du Dein Wissen bei Dir selbst anwendest?
In der Tat hatte ich früher Hautprobleme. Ich habe auf einige chemische Sachen in Pflegeprodukten reagiert. Und ich bemerkte, dass meine Haut auf stark verarbeitete Nahrung reagiert. Das war Anlass, mich mit vegetarischer und veganer Ernährung zu befassen. So ernähre ich mich jetzt überwiegend vegan und meiner Haut geht es gut. Heute habe ich ein ganzheitliches Denken und würde sagen, dass nicht ausschließlich meine Ernährung für meine bessere Haut und mein körperlich besseres Befinden verantwortlich sind. Durch eine weitere Ausbildung im Gesichter lesen, habe ich verstanden, dass körperliche Probleme auch einen seelischen Hintergrund haben.
Wo stehst Du jetzt und hast Du eine Vision, wohin Du willst?
Ich möchte für die Ausbildungen, die ich gemacht habe, ein Gesamtkonzept finden und das Thema Spiritualität einbeziehen. Ich denke, dass jeder, ob bewusst oder unbewusst, auf der Suche ist. Ich habe das Gefühl, dass ich viel bewirken kann. Ich kann jetzt nicht sagen, ich werde mal das und das machen, aber ich weiß, wenn ich im Vertrauen bin und meinen Weg gehe, dann wird sich das schon fügen. Ich halte es auch nicht für richtig, zu sagen, das mache ich jetzt für immer und ewig. Es gibt ja ständig Entwicklung und ich kann mir vorstellen, dass ich irgendwann das Thema Ernährung gar nicht mehr beruflich mit einbeziehe, weil es einfach Themen gibt, die ich für wichtiger halte. Ich denke viele Menschen gehen gerade am Anfang eher über den Körper, als dass sie etwas in ihrer Denkweise verändern wollen. Ich habe die Vision, nicht mehr lange in Berlin zu sein, da es mich immer mehr in die Natur raus treibt. Ich sehe mich im Ausland zusammen mit einem Partner ein großes Heilungszentrum eröffnen oder etwas kleiner für den Anfang, dass ich separate Räumlichkeiten habe, wo ich auch viel mehr mit den Menschen arbeiten kann. Es werden auf jeden Fall die Themen Ernährung, Entspannung und Persönlichkeitsentwicklung und Kreativität mit einfließen. Ich möchte auch einen Garten zur Selbstversorgung haben.
Glaubst Du an Zufälle?
Nein, ich bin davon überzeugt, dass nichts ein Zufall ist.
Warum willst Du ins Ausland?
Das ist mehr privater Natur und hängt mit meinem Wohlgefühl zusammen. Ich fühle mich schon immer mehr zu den südlichen, warmen Ländern hingezogen. Für mich fühlt sich Deutschland, als Ort zum Leben nicht stimmig an.
Was würdest Du gerne mal gefragt werden?
Hm – weiß ich gar nicht. Da fällt mir spontan gar nichts ein.
Gibt es etwas, was Du gerne noch sagen würdest?
Ja, dass die Außenwelt der eigene Spiegel ist, dass das was man anzieht, damit zusammenhängt, wie man selbst im inneren ist. Als ich damals in meiner Opferrolle war, habe ich natürlich bestätigt bekommen, dass alles Mist ist, dass mich alle ausnutzen, dass ich immer Leid erfahre, dass ich
immer enttäuscht werde. Aber als ich anfing anders zu denken, mir selbst mehr wert war, habe ich andere Menschen angezogen. Ich war viel in meinem Leid, viel in der Opferrolle bis ich erkannte, dass ich selbstbestimmt leben kann.
Seit diesem Interview sind vier Monate vergangen. Ich war gespannt, ob es seit dem zu Veränderungen in Anjas Blick auf ihren weiteren Berufsweg gekommen ist und fragte nach.
Anja, sind Deine Prioritäten bezüglich beruflicher Laufbahn gleich geblieben oder hat sich etwas verändert?
Es hat sich in dieser verhältnismäßig kurzen Zeit bei mir viel bewegt. Bei dem ganzheitlichen Konzept bin ich geblieben, wobei die Ernährungsberatung in den Hintergrund treten wird. Das zeichnete sich ja bereits ab. Ich will mehr in Richtung Spiritualität gehen. Herzöffnung und
Seelenberührung sind mir wichtige Themen. Ich will Menschen daran erinnern, warum sie hier sind, dass sie nicht im Leid sein müssen, sondern glücklich leben können.
Foto: Weltenreich Photography
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